Einsamkeit und Langeweile sind sehr nah miteinander verwandt. Manchmal sind die beiden auch Eins. Wie kommt es, dass man manchmal allein sein kann, ohne sich einsam zu fühlen? Warum kann man mit einem vertrauten Menschen zusammensitzen und sich dennoch einsam und verlassen fühlen? Es hängt alles sehr stark von unserem inneren Bild ab, wie wir Kontakte aufnehmen und gestalten können. (Text & Bild: © Dunja Voos)
Der andere reagiert nicht richtig
Wer mit Liebesentzug und Desinteresse groß geworden ist, hat oft dieses Bild: „Ich kann machen, was ich will – der andere reagiert nicht so, wie ich es mir wünsche, wie ich es bräuchte, wie es mir gut täte.“ Oder: „Ich kann sagen, was ich will, der andere versteht mich nicht.“ Es fühlt sich an, als säße man in einem inneren Gefängnis. Die Tür nach außen scheint fest verschlossen und man hat noch nicht mal eine Klinke. Man fragt sich: „Wie kann ich so in einen guten Kontakt mit dem anderen treten?“
Wohlige Geselligkeit: Es ist immer jemand da
Manche Menschen haben das Glück, so groß zu werden, dass die meiste Zeit ihres Lebens jemand für sie da war. Da war jemand, der auf sie adäquat reagiert hat, der nachgedacht hat, geantwortet hat. Wenn diese Menschen phasenweisen alleine sind, fühlen sie sich nicht einsam, weil sie das Gefühl haben, dass es relativ leicht ist, neue Kontakte zu knüpfen und vertraute Menschen wieder schnell nah bei sich zu haben. „Wenn ich Kontakt haben möchte, brauche ich nur einen Schritt nach draußen zu gehen, auf den anderen zuzugehen und das alte vertraute Gefühl wird sich wieder einstellen“, lautet der Gedanke.
Bedrängt werden oder alleingelassen werden
Nicht wenige Kinder werden mit Eltern groß, die sie entweder allzu sehr bedrängen oder zu sehr alleine lassen und zu wenig auf sie reagieren. Dann entwickelt sich die Vorstellung: „Der andere ist mir zu nah, er nervt und zwingt mich zu Dingen, die ich nicht will“ oder „Der andere ist für mich unerreichbar, egal, was ich anstelle.“ Dies alles sind Bilder, die tief emotional in einem Menschen verwurzelt sind. Psychoanalytiker sprechen hier von Repräsentanzen. Diese Vorstellungen sind sehr stark und bestimmen unser Gefühlsleben. Sie können sich jedoch verändern, wenn wir neue Erfahrungen machen.
Dem anderen wie dem Wetter ausgesetzt sein
Manchmal erscheint es uns so, als bekämen wir – bildlich gesprochen – Blumen geschenkt, obwohl wir wissentlich nichts anders gemacht haben als sonst auch. Es ist, als hätten wir über den anderen keine Kontrolle und als seien wir dem anderen ausgeliefert wie gutem oder schlechtem Wetter. Dieses Gefühl kennen besonders die Menschen gut, die unberechenbare, launische Eltern hatten. Diese Eltern hatten nicht die Fähigkeit oder Kapazität, auf ihre Kinder einzugehen und für sie da zu sein. So ist bei den Kindern schon früh das Gefühl der Einsamkeit entstanden.
Selbsthilfe
Wer unter sehr starken Einsamkeitsgefühlen leidet, kennt diese Gefühle häufig schon ein Leben lang – eben weil diese „emotionalen Bilder“ von Kommunikation so vertraut sind. Hier hilft es, immer auf der Suche nach ausgeglichenen Menschen zu bleiben, um neue Beziehungserfahrungen machen zu können. Wichtig ist es auch, das Gefühl der Einsamkeit wahrzunehmen. Allzu gern wehrt man es ab, spürt es gar nicht erst, beginnt stattdessen aber, an den anderen „herumzuzerren“ oder „Theater zu machen“, was die anderen wiederum dazu bewegt, den Betroffenen auf Abstand zu halten. So wiederholt sich das Erleben, abgewiesen, unverstanden und einsam zu sein. Die eigene Einsamkeit aufzuspüren ist also ein enorm wichtiger, aber auch sehr schwieriger Schritt.
Hilfe in der Psychoanalyse
Besonders in der Psychoanalyse kann den Betroffenen deutlich werden, wie sehr sie das Empfinden haben, einsam zu sein und wie sehr dieses Empfinden mit dem inneren Erleben zu tun hat. Sie erwarten vom Analytiker, das er so reagiert, wie sie es bisher immer kannten. Wenn der Analytiker schweigt, erleben die Betroffenen das oft als Abweisung.
Die Frage ist dann: Wie kann man das Schweigen anders erleben als als Abweisung?
Wie kann man in der Psychoanalyse neue Beziehungserfahrungen machen, wenn das Prinzip darauf beruht, dass der Analytiker schweigt? Das Entscheidende hierbei ist, dass der Patient das Schweigen als Abweisung und Alleingelassenwerden erlebt, während der Analytiker jedoch über den Patienten nachdenkt und ihm innerlich durchaus zugewandt sein kann. Der Analytiker kann den Patienten natürlich innerlich auch tatsächlich gerade ablehnen und von sich stoßen wollen. Darüber können Analytiker und Patient dann ins Gespräch kommen.
Reaktionen in der Beziehung haben Einfluss auf das Einsamkeitsgefühl
In der Psychoanalyse kann das Geschehen in der Beziehung ganz genau angeschaut werden. So lassen sich die inneren Probleme, die zu „ungeschickter Kommunikation“ und zu dem Gefühl der Einsamkeit führen, erkennen und verstehen. Das Schweigen des Analytikers kann das Gefühl von Einsamkeit hervorrufen. An anderen Tagen oder bei anderen Patienten kann aber auch das Gefühl von wohltuender Vertrautheit und Freiheit entstehen.
Schweigen, Einsamkeit und Selbstwirksamkeit in der Psychoanalyse
Durch das Schweigen des Analytikers entstehen auf jeden Fall Gefühle – sowohl beim Analytiker als auch beim Patienten. Daher kann das Schweigen sehr fruchtbar sein. Es kann aber auch zerstörerisch wirken, wenn der Analytiker an ähnlichen Stellen ähnliche Probleme hat wie der Patient. Darum sind Lehranalysen und Supervisionen in der Psychoanalyse so hilfreich.
Wenn sich Patienten in der Psychoanalyse als selbstwirksam erleben, kann das Gefühl der Einsamkeit nachlassen – oder es wird zumindest weniger schmerzhaft. Schmerzen lassen sich viel besser ertragen, wenn man das Gefühl hat, dass man sie in irgendeiner Weise steuern kann oder dass sie irgendwann aufhören. Einsamkeit dann und wann gehört zum Leben. Doch die Hoffnung auf eine Heilung von allzu großer Einsamkeit ist vielen Patienten, die in eine Psychoanalyse kommen, gemeinsam.
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